Wir waren der 18. Lehrgang
Dennis Frasch
Und am Ende sitzt du doch wieder alleine da, es ist Montagmorgen 8 Uhr, jetzt beginnt dein Leben als freier Journalist, du setzt dich an den Schreibtisch, checkst deine Mails - keine da -, was jetzt? Vor einem Jahr stand mir bei dieser Vorstellung der Schweiß auf der Stirn. Jetzt, nach einem Jahr Unterricht bei den besten Journalistinnen und Journalisten, nach unzähligen Stunden, in denen wir an Texten gefeilt haben, nach etlichen Gesprächen und Pitch-Übungsrunden, nach Kneipenreportagen und GO-Reportagen, nach dem Netzwerken mit schwäbischen Dorflegenden und Über-Journalisten beim Reporter*innen-Preis, jetzt ist Montagmorgen um 8 Uhr und ich fühle mich bereit.
Marie Heßlinger
Die Abschlussfeier an unserer Schule war eine der schönsten Feiern meines Lebens. Sie hat mir so viel mehr bedeutet als damals mein Abiball oder die Master-Absolventenfeier. Bestimmt, weil sie so persönlich und familiär war. Aber auch, weil mich dieses Jahr so sehr herausforderte und an meine Grenzen brachte und mich gleichzeitig so sehr wachsen ließ. Bevor ich zur Reportageschule ging, hatte ich den Eindruck, die Redaktionen in der Zeit, in der SZ oder dem Spiegel seien unerreichbare Zirkel von Menschen, die nicht mit mir sprechen und nicht auf meine Mails antworten würden. Jetzt hingegen kenne ich manche von ihnen, ich weiß, wen ich ansprechen kann, wenn ich Fragen habe. Ich fühle mich nicht mehr so klein und unbedeutend wie noch vor einem Jahr. Gerade habe ich noch nicht begriffen, dass das Schuljahr wirklich zu Ende ist. Ich erinnere mich, wie sich Ariel und Philipp mit teuflischen Blicken angrinsten und sagten: „Die Reportageschule geht nie vorbei.“ Hoffentlich hatten sie recht.
Benjamin Fischer
Am Ende dieses Jahres, das mich oft über meine Grenzen gebracht hat, bin ich glücklich. Ich habe es geschafft und sogar fast alle Deadlines eingehalten. Meine Bewerbungsreportage würde ich heute auf keinen Fall nochmal so schreiben. Ich bin glücklich, weil es den Filmclub gab, den Schulraum, meine einzige Nacht im Area 14, lange Autofahrten, Badminton, Simsim Lunch und Vicky Leandros. Und ich bin glücklich, weil meine Mitschüler zu lieben Freunden wurden. Oft habe ich in diesem Jahr an mir gezweifelt und gedacht, dass ich eine andere Person sein müsste, um das alles zu schaffen. Damals im Sommer der GO-Reportage, in dem lauten Zimmer in Kairo oder wenn sich unsere Dozenten mal wieder irgendeine lustige Aufgabe ausgedacht hatten. Bis ich dann ganz am Schluss verstanden habe, dass das gar nicht stimmt und ich keine andere Person werden muss. Sondern in diesem Jahr unbemerkt Journalist geworden bin, selbstbewusst und in Vorfreude auf die Texte, die ich in den nächsten Jahren schreiben werde.
Laila Sieber
Die Wolken rasen an einem fast vollen Mond vorbei. Äste biegen sich im Sturm. Ich laufe mit meiner Freundin durch das Schattenspiel im Wald. Das Jahr neigt sich dem Ende zu und sie fragt mich, was gut war. Ich denke an die Bar in Beirut, in der ich an der Hand von Fremden tanzte, an die Frauen in Amman, die mir Kleider ihrer Mütter anzogen. An meinen Freund aus Nepal, den ich nach acht Jahren in Portugal endlich wiedersah, daran, dass ich vom Waschsalon im Frankfurter Bahnhofsviertel nicht genug bekommen konnte. Das Unterwegs sein gehört genauso zum Jahr in Reutlingen wie all die wunderbaren Menschen dort - im Schulraum, auf Bergen oder in Besenwirtschaften. Genaues Hinschauen, Ermutigen nach Selbstzweifeln, das Miteinander sein - so viel, was mich reicher gemacht hat. Es fühlt sich an, als hätten wir in ein Jahr reingepackt, was eigentlich drei Jahre brauchen würde. Vielleicht war die Zeit ein bisschen wie der Wald mit meiner Freundin im nächtlichen Sturm. Wild und wohltuend zugleich.
Janina Bauer
Und die schwierigste Aufgabe kommt zum Schluss. Bis zu diesem Zeitpunkt werdet ihr bereits 20.000 Zeichen Go-Reportage geschrieben, eine Investigativ-Recherche gestemmt und euch alleine im Ausland zurechtgefunden haben. Ihr werdet gelacht, geflucht, gezweifelt, verteufelt, geweint und euch immer wieder aufgerappelt haben. Im Dezember dann, werdet ihr es geschafft haben, werdet stolz sein und zuversichtlich. Dann werden diese 1000 Zeichen Jahreszusammenfassung kommen und euch das Genick brechen. Wie fasst man etwas (klug) zusammen, wofür einem die Worte fehlen? Mir bleibt nichts anderes übrig, als diese 1000 Zeichen mit den Worten eines anderen zu beenden – übrigens das Gegenteil von dem, was uns Ariel das Jahr über eingebläut hat: Die letzten Worte einer Reportage gehören der Reporterin. Regeln brechen, auch das gehört dazu. Ich sage, was Freddy sagte, als er mich zum Abschied drückte: „Es war mir eine Ehre.“
Hannah Mara Schmitt
Plant danach erst mal Urlaub ein, hatte uns der letzte Jahrgang ans Herz gelegt. Und bereits im Februar suchte ich nach Flügen für Dezember. Kopf voll, mentale Akkus leer. Jetzt schon? Als ich vor einem Jahr meinen Job in der Wirtschaftsprüfung kündigte, um endlich nur noch zu schreiben, hatte ich keine Ahnung wie anstrengend das werden würde. Schreiben, neu schreiben, neu denken, alles löschen, alles verfluchen. Schreiben tut weh, bis es das irgendwann nicht mehr tut. Ab wann, das kann ich gar nicht mehr so genau sagen. Vielleicht nach GO, wenn auch das dritte Thema scheitert und wieder eine Protagonistin abgesprungen ist und am Ende trotzdem ein solider Text bei rumkommt. Vielleicht auch erst in Tunesien, wenn während der Auslandsreportage plötzlich alles funktioniert, sogar noch besser als erwartet. Wenn statt nächtelanger Suche nach dem richtigen Einstiegssatz der Schreibflow sofort einsetzt und man statt Seufzern Lob bekommt. Mein Fazit nach 12 Monaten Reportageschule: Macht Urlaub! Und macht euch keine Sorgen: Am Ende wird es genau so, wie es sein soll. Auch wenn es am Anfang gar nicht danach aussieht.
Jonas Mayer
Ich schreibe Tagebuch. Nach einer Woche an der Reportageschule notierte ich: „Alles cool soweit.“ Ich ahnte nicht, dass der Januar, dass die unbekümmerten Tage im Reutlinger Fachwerk nur zum Luft holen für alles diente, was folgte: Reportage aus einem 300-Seelen-Dorf im Schwarzwald. Aus dem organisierten Verbrechen. Aus Münster. Aus meiner Jugend. Aus dem Meer. Also wirklich aus dem Meer, der Ostsee. Aus einem Stall. Aus Dubai. Ich habe vielen Menschen ihre Schlüsselmomente aus den Rippen geleiert, viele erste und letzte Sätze geschrubbt. Auch wenn man mit Adjektiven geizen soll, sind „cool“ und „stressig“ zwei häufige Wörter auf den 48 Seiten meines Tagebuchs zwischen dem ersten und letzten Tag der Reportageschule Reutlingen. Und ja, die Seiten sind groß und meine Schrift klein, das Jahr eng und die Zukunft weit. Was noch? Achso: Ich bin so viel Bahn gefahren, dass ich im Bordbistro jetzt Freigetränke habe. Das ist „cool“.
Lisa Plank
Einmal, während meines Jahres in Reutlingen, habe ich den Unterricht geschwänzt und bin in den Europapark gefahren. Einen Tag lang nur Achterbahnfahren, rasantes Tempo, hoch und runter, kopfüber hängend und schreiend. Das Jahr in Reutlingen war ein bisschen wie dieser Tag im Europapark. Man steigt ein und wird mitgerissen, keine Zeit zum Durchatmen, emotionale Höhenflüge und gefolgt von tiefen Stürzen. Wir haben in diesem Jahr viel geschrieben, viel Kritik eingesteckt und wieder neu geschrieben. Wir haben gelacht, Aperol getrunken und noch mehr gelacht. Reutlingen wurde unser safe space und die Klasse unsere chosen family. Anfang Dezember schaute ich in einen Anhänger voller Möbel und Kartons. Es war der Tag nach unserer Abschlussfeier, ich war übermüdet und verkatert, eine Erkältung bahnte sich bereits an. Plötzlich traf mich die Erkenntnis, die ich am Vorabend gelungen verdrängen konnte: Das Jahr in Reutlingen ist vorbei. Wie eine Achterbahn, plötzlich hält sie an und mit leichtem Schwindel steigt man aus. Mir ist noch immer ein wenig schwindelig. Aber ich würde jederzeit wieder einsteigen.
Celine Schäfer
An einem unserer ersten Tage in Reutlingen sind wir auf die Achalm gelaufen. Auf dem Weg habe ich mit meinen Mitschülern und Mitschülerinnen die Gespräche geführt, die man eben so führt, wenn man recht neu im Journalismus ist: Für wen hast du schon so geschrieben? Was hast du studiert? Willst du später frei arbeiten? Bla, bla, bla. Ganz ehrlich, ich hasse das, und ich bin so froh, dass sich das in unserer Klasse schnell erledigt hatte. Ich will wissen, wann zum ersten Mal dein Herz gebrochen wurde, und nicht, wie viele Praktika du schon gemacht hast! Jahrelang dachte ich, das sei meine große Schwäche, diese Unfähigkeit, Smalltalk zu führen und der Hang zu Gefühligem, manchmal zum Pathos. Jetzt, nach einem Jahr Reutlingen, weiß ich: Das ist meine Stärke. Man muss den Smalltalk so schnell wie möglich überwinden, um auf echte Emotionen und wahre Geschichten zu stoßen. Dann entstehen Texte, die berühren. Und, wenn sich darauf einlässt: elf Freundschaften mit Menschen, die man vor einem Jahr noch nicht kannte – und auf die man sich blind verlassen kann.
Anna Dotti
Eines vorweg: Ich bin ein Großstadtkind und verstehe die Schwaben nicht. Also: Willkommen in Reutlingen! Es war ein intensives Jahr, von der Überwindung des Kulturschocks in der Provinz bis zum – Achtung, Floskelalarm – Finden der eigenen Erzählstimme. Und das in den unterschiedlichsten Situationen: Ob im Frankfurter Bahnhofsviertel, am Stadtrand von Münster oder im Zentrum von Amman. In diesem Jahr habe ich generell schlecht geschlafen, allgemein zugenommen, das Grappa-Angebot aller Reutlinger Kneipen ausprobiert. Manchmal habe ich mich auch mit Bewegung therapiert: Ein Spaziergang auf der Achalm ist immer empfehlenswert! Journalismus macht das Leben nicht leichter, gesünder schon gar nicht. Die Reportageschule ist da keine Ausnahme. Aber sie hat mir großartige Menschen an die Seite gestellt, das Bewusstsein und die Kompetenz gegeben, mich besser durch den Konkurrenzkampf zu schlagen - und wieder besser zu schlafen. Kurz: Ich würde es jederzeit wieder machen.
Frederik Mittendorff
Das Wichtigste zuerst: Ich habe jetzt mehr Muskeln und schlafe länger. An dieser Stelle danke ans Clever Fit Reutlingen und meine leisen Mitbewohner*innen. Ansonsten trank ich in Kneipen und schrieb darüber, recherchierte zu Rechtsextremisten, fuhr zu einer Schießerei mit einem Reichsbürger, wanderte Berge hoch, oder eben das, was ich als Hamburger für Berge halte, reiste für eine Reportage über Landstraßen von Rügen bis zum Bodensee, flog nach Südägypten, um über nubische Kultur zu schreiben, porträtierte in Münster einen Aktivisten der Letzten Generation, der in die FDP eingetreten ist, stieg in eine Eistonne, verfolgte einen Nachbarschaftsstreit vor Gericht, lungerte im Backstage bei einem Schlagerrapper, machte keinen Urlaub, schlief aber in Hostels, besuchte den Reporterpreis (leider nichts gewonnen, ja nicht mal nominiert!) und bekam angemahnt, kurze Sätze zu schreiben. Das Jahr war intensiv und voller wunderschöner Menschen. Und das ist sowieso immer alles, was zählt. Und: Ich habe natürlich auch irre viel gelernt. Kein Spaß.
Lars Graue
Ich kam im Januar nach Reutlingen, und der Anfang (nein, es ist keine gute Idee, seine Masterarbeit in den ersten Monaten parallel zum Unterricht zuende zu schreiben) war dornig. Einer mein ersten Texte: ein “Schuss in den Ofen“. Ein Thema, das ich vorgeschlagen hatte, war kein Thema. Zwischendurch hatte ich das Gefühl, keinen Satz mehr geradeaus schreiben zu können. Ganz ehrlich: In den ersten Monaten fühlte ich mich oft überfordert. Dann kam aber, in geballter Ladung, das Positive. Wir lernten einander immer besser kennen, wie gern denke ich zurück an die Wanderung auf den Roßberg und das Schüsselspiel bis in die Nacht, bis uns vor Lachen schwindelig war. Und dann war ein Dozent großartiger als der nächste. So viel habe ich gelernt. Immer leichter fiel mir alles. Große Texte habe ich veröffentlicht, in großen Medien. Und, most importantly: Am Anfang des Jahres habe ich gute Leute kennengelernt, die ich jetzt getrost wahre Freunde nenne.