Wir sind der 19. Lehrgang
Teseo La Marca
… hat das kanadische Modell, diese fortschrittliche, harmonische Multikulti-Gesellschaft, aus der Ferne immer bewundert. Vor sechs Jahren war er endlich dort und fand es todlangweilig. Eine Freundin interpretierte es so: „Du bist in Südtirol aufgewachsen, zwischen den Kulturen. Du brauchst Konflikte.“ Die Erklärung klingt plausibel, die Neigung umso fragwürdiger. Sie vertrug sich aber gut mit dem Traum, Reporter zu werden – was nach einem Lehramtsstudium und einigen erfolglosen Bewerbungen schließlich als freiberuflicher Quereinsteiger gelang. Seitdem hat er ungemütlichere Orte als Kanada aufgesucht, wie Irans Straßen während der „Frau, Leben, Freiheit“-Proteste oder überfüllte Flüchtlingscamps auf Lampedusa. Geschrieben hat er darüber u.a. für Fluter, die NZZ und die taz. Zum Verfeinern des Handwerks geht es jetzt noch einmal an die Reportageschule in der ruhigen (?) schwäbischen Provinz. Privat findet er Konflikte weniger toll und ist sogar ein recht umgänglicher Mensch.
Lea Ernst
… hatte alles geplant. Nach dem Kommunikationsstudium ein paar Jahre nach Sri Lanka, die Projekte einer NGO dokumentieren, raus in die Welt. Doch kaum hatte sie ihr Gewicht in Kottu Roti gegessen und das Pendeln im TukTuk durchschaut, kam Corona. Und schon saß sie wieder in der Schweiz. Spontan machte sie das erste journalistische Praktikum bei einer Boulevardzeitung in Zürich – und war begeistert. Sie durfte in Themen eintauchen, sich von Ansichten inspirieren lassen, immer wieder Unsicherheiten überwinden und mutig sein. Für ihre Artikel schaute sie dänischen Nerzzüchtern dabei zu, wie sie ihre 19’000 Tiere töteten. Sie sprach in Norwegen mit Steuerflüchtlingen und jagte sich im Universitätsspital Basel eines der stärksten Halluzinogene der Welt durch die Adern. Sie hat gelacht, sich geärgert und war berührt. Und weiss: Der Journalismus hat ihrem Leben eine Tiefe verliehen, die sie nicht mehr missen möchte. Deshalb will sie weiter – und in Reutlingen unter anderem lernen, wie sie sich in Deutschland als freie Journalistin durchschlagen kann.
Paul Weinheimer
… hat es schon immer geliebt, Geschichten zu erzählen. Dabei aber nie an Journalismus gedacht. Sein Traum war es, nach dem Soziologiestudium zu promovieren, um sich mit der Klimakrise auseinanderzusetzen. Doch nach seinem ersten Praktikum bei der taz wusste er: ‚Ich will Journalist werden‘. Ob mit ver.di Mitgliedern im eiskalten Hamburger Winter vor Ikea ausharren oder biertrinkend die urige Kiezkneipe porträtieren: Alles elektrisierte und machte Lust auf mehr. Beim Hamburger Abendblatt sezierte er die lokale Kulturlandschaft und lernte, dass gute Geschichten oft direkt vor der eigenen Haustür liegen. Aber nicht immer. Deswegen wagte er mit etwas Journalismus-Erfahrung im Gepäck den Sprung nach Berlin zu ZEIT ONLINE: Dort suchte er stundenlang auf Reddit nach Protagonist:innen, analysierte die deutsche Fahrschullandschaft und schrieb die erste kleine Ich-Geschichte über sein Sommerexil im Hippie-Staat Christiania. Von Reutlingen erhofft er sich neue Geschichten zu finden, genauer hinzuschauen und lebendiger zu schreiben. Denn – so viel steht fest – das ist erst der Anfang: Und gute Geschichten gibt es da draußen genug.
Erik Hlacer
… hat kürzlich zum ersten Mal einen Unterschied zwischen zwei Weißwein-Sorten herausgeschmeckt. Kultiviert fühlt er sich irgendwie trotzdem nicht. Aufgewachsen im Herzen des Ruhrgebiets wollte er als Kind erst Romanautor werden und dann Sportkommentator. Sein Faible für Sport führte ihn zu einem Volontariat in der Sport-Redaktion des Westfälischen Anzeigers. Aufgrund der Pandemie schrieb er jedoch hauptsächlich für die Politik- und Online-Redaktion. Heute ist er darüber sehr dankbar. Auch die Praktika bei RTL und kicker brachten neue Impulse und schärften seinen Wunsch, sich überregionalen Themen anzunehmen. Zu gut kennt er noch die abstrusen Termine im Lokaljournalismus – den Jäger, der in einer verlassenen Schule voller ausgestopfter Tiere eine Powerpoint-Präsentation hält. Auf einem viel zu kleinen Fernseher. Und für genau einen Zuhörer. Er schätzt Details, leidet mit dem FC Schalke 04, liebt orientalisches Essen und hinterfragt die trivialen Inhalte seines Medien-Masters an der Sporthochschule Köln. Umso mehr freut er sich nun auf ein Jahr Praxis, Praxis, Praxis.
Vanessa Leitschuh
Das erste Magazin, das Vanessa Leitschuh rausbrachte, enthielt einen großen Rätselteil, einen größeren Anteil an Rechtschreibfehlern und die einzige Leserin hatte ihr die Buntstifte dafür gekauft. Im Nebenjob war das Suchen und Finden ihr Metier: Wann immer sie ihre publizistische Arbeit unterbrechen konnte, war sie als Detektivin unterwegs. Dabei widmete sie viel Zeit dem Schleichen, Verstecken, Nicht-Auffallen. An der Akademie für Publizistik fragte sie eine Dozentin einmal nach ihren drei Hashtags. Sie sind seit ihrer Kindheit geblieben: #Chefredakteurin, #Detektivin, #Geist. Letzteren will sie jetzt ändern. Deshalb wird sie nächstes Jahr die Reportageschule in Reutlingen besuchen und statt im Lokalen zu schreiben, die große Bühne für ihre Geschichten suchen. Bisher drehten die sich vor allem um den Hamburger Bezirk Eimsbüttel, wo sie die Redaktion der Eimsbütteler Nachrichten leitete und alle drei Monate ein Printmagazin baute – zum Bedauern ihres früheren Ichs ganz ohne Rätselteil. Die Ausbildung an der Reportageschule ermöglicht ihr ein Stipendium der FAZIT-Stiftung.
Luisa Wick
… packte nach dem Abitur ihren Rucksack, um am anderen Ende der Welt herauszufinden, wo sie im Leben hin will. In Neuseeland servierte sie Truckfahrern Venison, klaute nachts Stickydate-Puddings aus der Küche, lernte in Thailand Muay Thai und dass sandiger Boden und Rollerreifen nicht so gut zusammenpassen. Nach einem Jahr kam sie zurück nach Deutschland. Den Berufswunsch hatte sie natürlich nicht im Gepäck. Wer hätte es gedacht. So arbeitete sie in einer Salatbar, bis sie sich für ein Philosophiestudium in Konstanz entschied. Schreiben, das hatte ihr doch schon immer Spaß gemacht. Und während sie die Gedankengänge von Philosophen entlang wanderte, überkam sie selbst die Erleuchtung. Journalismus, durch die Welt reportern, mit Menschen sprechen und ihre Geschichten erzählen: Das sollte ihr Weg sein. Sie schrieb ihre Bachelorarbeit über Fake News, begann als Werkstudentin beim stern und einen Master im professionellen Schreiben an der Universität zu Köln. Sie hospitierte bei ZEIT Online und der Süddeutschen Zeitung, schrieb über ein junges Pärchen, das Swingerclubs für sich entdeckt hatte, prüfte Grabsteine auf Standfestigkeit und sprach mit einem Künstler, der in den 90ern für die Beatles gearbeitet hatte. Auf der Reportageschule möchte sie lernen, Geschichten zu schreiben, die bis zum letzten Punkt gelesen werden. Die Ausbildung ermöglicht ihr ein Stipendium der FAZIT-Stiftung.
Paulina Albert
… schrieb in der Schule lieber ein Theaterstück über Zwangsprostitution, statt Latein zu lernen. Das Theaterstück wurde aufgeführt, das Latinum… naja. Nach dem Abitur lebte sie ein Jahr lang in einer finnischen Theaterschule, wo sie sehr viel Zeit in Reisebussen und vor der Nähmaschine verbrachte. Auf den Rat einer Bekannten, Journalist*innen sollten nie Journalismus studieren, schrieb sie sich für Philosophie und VWL in Bayreuth ein. Neben dem Studium leitete sie als Chefredakteurin die Unizeitung, gründete den Klimaentscheid in Bayreuth mit, und fuhr mit dem Fahrrad von Polen in die Niederlande. Im Lockdown hielt sie für die Philosophiezeitschrift Hohe Luft seitenlang Gedankenausführungen fest, und wundert sich heute, dass sie ungekürzt gedruckt wurden. Nach einem Winter in Barcelona und einem letzten Sommer in Bayreuth hospitierte sie bei ZEIT Verbrechen in Berlin und schrieb dort ihre erste richtige Reportage. Davon angefixt bewarb sie sich kurzerhand in Reutlingen. Jetzt freut sie sich auf kurze Wege, die Nähe zur Natur und vor allem darauf, zu lernen, wie man eine richtig gute Journalistin wird.
Eliana Berger
… behauptete mit 13 Jahren, dass sie Journalistin werden wolle und wurde damit ernster genommen, als sie sich selbst nahm. Saß kurz darauf in der Jugendredaktion ihrer Regionalzeitung und schrieb Texte über Twilight, die Schweinegrippe und Urlaub in Dänemark, davon entschieden zu viele aus Ich-Perspektive. Nach der Schule studierte sie Politik, Soziologie und Psychologie. Nebenbei las sie beim ZDF Krimidrehbücher, wurde beim WDR fürs Fernsehen bezahlt und ließ sich bei der heute show eingewickelt in einen Teppich durchs Studio tragen. Weil sie Text am liebsten geschrieben mag, volontierte sie schließlich beim „Kölner Stadt-Anzeiger“. Danach arbeitete sie lange als Wirtschaftsredakteurin. Als sie im Rahmen des „Arthur F. Burns“-Stipendiums eine abgeschottete religiöse Gruppe in der kanadischen Steppe begleitete, erinnerte sie sich daran, wieso sie eigentlich mal Journalistin werden wollte: um draußen an der frischen Luft Geschichten aufzuspüren. Deshalb ist sie jetzt hier.
Miriam Amro
... ist eine Kosmopolitin“, hieß es beim Bewerbungsgespräch an der Reportageschule. Und das stimmt: Geboren in Homburg im Saarland, Gymnasium in Duisburg und Oldenburg. Dann zog es sie weg: Nach Dubai, wo sie Modeassistentin der arabischen Harper’s Bazaar wurde, bei 47 Grad Abendkleider für Naomi Campbell durch die Innenstadt schleppte und lernte, wie man 600 Euro teure Chanel-Schuhe rechtfertigt: die, wenn man sie zehn Jahre lang trägt, genau genommen nur 0,16 Euro pro Tag kosten ("Cost-per-Wear-Rechnung“). Miriam wurde Style & Content Director der Zeitschrift GRAZIA, portraitierte Stella McCartney in Paris und interviewte Karl Lagerfeld bei einer Coke Light in Mailand, der ihr erst Fotos seiner Katze auf dem iPhone zeigte und ihr dann ein Bild malte. Miriam schrieb so lange über Fashion Weeks, bis ihr ihre Texte nicht mehr tiefgründig genug erschienen und sie (spontan) beschloss, wieder zu studieren: Islamwissenschaft mit dem Schwerpunkt Hocharabisch und Öffentliches Recht. Heute kann sie arabische Nachrichten übersetzen und Gesetzestexte auslegen. Sie war Hospitantin im ZDF-Nahoststudio Tel Aviv und im Podcast-Team des ZEITWissen Magazins. Ihre Geschichten erschienen auf ZEITOnline, ZEITWissen und in der Vogue. An der Reportageschule will Miriam lernen, wie man tiefgründige Geschichten aufschreibt und wird bei ihren Gesprächspartner*innen immer auch auf die Schuhwahl achten. Miriam ist Stipendiatin der FAZIT-Stiftung.
Lara Voelter
In der Oberstufe entriss der Deutschlehrer ihr während einer Klausur das Heft. Er sagte: „Lara, bitte hör jetzt auf zu schreiben, ich muss das alles korrigieren! Heb dir das für dein Buch auf.“ Aus dem Buch ist (noch) nichts geworden. Der Hang zu langen Texten aber ist geblieben. Sie studierte Spanisch, Deutsche Literatur und Medienwissenschaft in Konstanz, Tübingen, Spanien und Südafrika. Nach Stationen in einer Lokalredaktion, bei einem Reisemagazin, beim SWR und ZDF merkte sie: Journalismus – genau das ist es. Obwohl Teile des Kollegiums bei Wutausbrüchen immer wieder Bücher durchs Büro schleuderten und weiter ausgefahrene Ellenbogen kaum noch möglich waren. Irgendwann das Eingeständnis: So kann und will sie nicht arbeiten. Deshalb: Öffentlichkeitsarbeit, Deutschlernmedien produzieren, Bücher lektorieren. Die Sehnsucht nach dem Schreiben – immer mit dabei. Ein Praktikum und die freie Mitarbeit bei der Süddeutschen Zeitung zeigten ihr schließlich, dass Journalismus und Egomanie nicht deckungsgleich sein müssen. Und eine lange Busreise durch Länder des südlichen Afrikas, dass sie mehr Echtheit erleben und darüber schreiben will. Auch wenn sie sich mit vielen Menschen, Ziegen und Hühnern in einen ausrangierten Bus quetscht und das Herz hämmert, die Ohren dröhnen, der Schweiß rinnt. Nach ihrem Volontariat bei der Augsburger Allgemeinen möchte sie an der Reportageschule jetzt so lange an Sätzen schleifen, bis sie funkeln. Und lernen, Geschichten zu erzählen, die in Köpfe schlüpfen, berühren – und bestenfalls etwas verändern. Dabei unterstützt die FAZIT-Stiftung sie mit einem Stipendium.
Luise Land
… will Journalistin sein, seitdem sie das erste Mal einen Text für eine Schülerzeitung schrieb. Dass sie das Zeug dazu hat, glaubte sie so richtig allerdings erst, als sie eine investigativjournalistische Recherche über den Rucksackhersteller Got Bag als Aufmacher bei ZEIT ONLINE veröffentlichte. In der Zwischenzeit schlief sie einen Sommer lang in Spanien am Strand, bereiste halb Europa zu Fuß und per Anhalter und lernte beim Trampen an dänischen Tankstellen, wie man Menschen in unangenehmen Situationen anspricht. Sie studierte Kommunikations- und dann Nachhaltigkeitswissenschaften in Bamberg, Lüneburg, Spanien und auf Korsika. Machte Praktika bei der taz, Flip, dem Süddeutsche Zeitung Magazin und schrieb immer frei. Für Texte sprach sie mit Gynäkologinnen darüber, wie die Geschichte der Unterdrückung weiblicher Lust bis heute wirkt, und mit Therapeutinnen über Mütter, die unter der Belastung durch Arbeit und Alltag an Erschöpfungsdepression erkranken. An der Reportageschule möchte sie lernen, wie sie richtig große Geschichten am besten angeht und strukturierter tiefgründige Texte schreibt. Unterstützt wird sie dabei mit einem Stipendium der FAZIT-Stiftung.
Jakob Milzner
… hatte nach einer Jugend im westfälischen Münster zwar noch keine ganz konkrete Vorstellung von seiner Zukunft, eines aber stand fest: In die weite Welt sollte es gehen. Diese Erkenntnis führte ihn zunächst nach Übersee, dann nach Ostdeutschland, und schließlich – wenn auch sicherlich nicht abschließend – nach Reutlingen. Dass es in irgendeiner Form aufs Schreiben hinauslaufen sollte, war dabei ebenfalls recht früh klar; allerdings sorgte die Fülle an möglichen Formen zunächst für eine gewisse Inkonsistenz im Ausdruck, der zwischen allzu steif gereimten Sonetten, schon etwas elastischeren Songtexten und aus gutem Grund nie vollendeten Kurzgeschichten mäanderte. Im Schatten dieser Gehversuche durfte jedoch zugleich eine weitere Erkenntnis reifen: Dass nämlich die Realität jede noch so gut ausgedachte Geschichte schlägt. Und so, nach Stationen als Kurier, Kellner, Anstreicher, Student, Musiker, Pressesprecher und zuletzt Zeitungsvolontär, beginnt an der Reportageschule nun das nächste Kapitel. Jakob ist Stipendiat der FAZIT-Stiftung.
Philip Barnstorf
… hat halb Brandenburg in seinem Telefonbuch. Es strotzt nur so vor Bürgermeistern, Landräten, Naturschützern und heimatverbundenen Bürgerrechtlern. Leider nützt ihm das erst mal nichts mehr. Denn nach vier Jahren Rbb-Berichterstattung über die Tesla-Fabrik in Brandenburg, gekeulte ASP-Schweine und zankende AFD-Kommunalfraktionen, spürt Barnstorf immer öfter Fernweh. Entsprungen während Aufenthalten in Tansania, USA, Israel und Kolumbien, schlummerte es lange in ihm, packt ihn aber nun – nicht mehr jung und doch noch alt - jeden Morgen in seiner Neuköllner Wohnung. An Ideen für Geschichten von verschiedenen Kontinenten mangelt es ihm nicht, aber mit wessen Geld, für welche Redaktion ... Bei diesen Fragen kommt Barnstorf ins Stottern und sucht sein Heil deshalb in Reutlingen. Außerdem will er nach viel Radio- und Fernsehjournalismus für ARD-Sender wie Deutschlandfunk, sich wieder seinem Herzensmedium widmen, dem geschriebenen Text. An diesem bis zum letzten Wort feilen! Seine Sätze perfekt formen! Den Spaß daran entdeckte Barnstorf zunächst bei FAZ und Tagesspiegel. Dabei ist er nicht – wie bei seiner zweiten Leidenschaft, dem Tischtennis – ein Einzelkämpfer, sondern sucht Rat, Inspiration und Teamwork abermals in der schwäbischen Provinz.